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SIMILITUDO - SIMULACRUM -SIMULATIO
Die Transformation des Wahrheitsbegriffes in der Renaissance

 
 
erschienen als: similitudo - simulacrum - simulatio. Die Transformation des Wahrheitsbegriffes in der Renaissance, 2002

 

In meiner Darstellung des in der Philosophie der Renaissance zunehmend Terrain gewinnenden Begriffs der similitudo - und einiger derselben Wortfamilie entstammender Termini - möchte ich zunächst den metaphysischen Rang jenes Begriffs und seine erkenntnistheoretische Funktion erläutern; zu diesem Zweck werde ich mich insbesondere der philosophischen Thesen Tomaso Campanellas, der als Verfasser der "Civitas Solis" berühmt geworden ist, bedienen; er hat zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gelehrt und ist der Spätrenaissance, der Meinung anderer Gelehrter nach auch dem Frühbarock zuzurechnen. Ich gehe davon aus, daß in Campanellas metaphysischen Summen die Resultate einer bestimmten gedanklichen Entwicklung vorliegen und einsichtig werden, d.h. daß in seiner Philosophie eine das 16.Jahrhundert charakterisierende Auseinandersetzung zum Thema der Aussageweisen des Sein bzw. der Kategorienlehre eine konzise Form gefunden hat. Mit der Entscheidung, Campanella als Zeuge für den Bedeutungsaufschwung der similitudo heranzuziehen, kürze ich gewissermaßen die philosophiehistorische Tour d'horizon etwas ab und rolle die Frage nach den Gründen für die von mir ins Auge gefaßte Transformation des Wahrheitsbegriffes in der Renaissance von ihrem Ziel her auf.

Ferner möchte ich, in einem zweiten Schritt, in Rückgriff auf die Hieroglyphik der Hochrenaissance den Horizont wiederherstellen, unter dem die similitudo zur Fundamentalkategorie eines kreationistischen, am wirkmächtigen Bild orientierten Denkens avancieren konnte. Ich werde mich in diesem Zusammenhang insbesondere der Mnemotechnik und Alchemie widmen, und mich auf die hoffnungsvollen Strategien konzentrieren, die diese beiden Disziplinen mit der Hieroglyphenschrift verbunden haben. Ich werde die Traktate, auf die ich meine Analysen gründe, jeweils auch in meiner Übersetzung zitieren, mehr oder weniger ausführlich, weil ich zeigen möchte, was in den meist sehr schwer zugänglichen Texten wirklich steht.

I.

Nicht nur die Kunst, auch die Philosophie der Renaissance läßt sich durch die Erfindung der Perspektive bzw. der perspektivischen Wahrnehmung charakterisieren, die Panofsky, in Anschluß an Cassirer, als die die Epoche profilierende "symbolische Form" bezeichnet hat. Die Perspektive, höchstwahrscheinlich gewissermaßen eine "wahrnehmungstechnische" Folge der Alphabetisierungswelle seit der Erfindung des Buchdrucks, präsentiert uns den Erkenntnisstil der Renaissance als durch Distanziertheit ermöglicht und ausgezeichnet. Die Welt wird gelesen, die Dinge verwandeln sich unter dem Blick des Lesers zu eigentümlichen optischen Größen, zu Phänomenen. Für die Fassung des Seienden ergeben sich aus dieser veränderten Situation in der Ökonomie der Wahrnehmung zwingend entsprechende Modifikationen der philosophischen Leit-Konzepte, die die neue Qualität der Phänomenalität der Welt auffangen sollen. Es läßt sich beobachten, daß der Installation der Perspektive in der Kunst die Transformation des Wahrheits- oder Einheitsprinzips in der Metaphysik korrespondiert. Anstelle der Substanz der Dinge schieben sich die Relationen, die diese Dinge miteinander haben und ihre Lesbarkeit in Strukturen der Stimmigkeit und Kohärenz garantieren, in das Zentrum des Interesses. Die Substanz als der ganze Stoff der Metaphysik wird rhetorisch überschrieben und zu einer Art Beziehungsgeflecht der Aussageformen des Seins und der Bedeutungen umgestaltet. Dieser Vorgang geht sozusagen professionell unter dem Titel einer kritischen Revision der aristotelischen Kategorienlehre vor sich; als Vorbild einer Abschaffung der zehn aristotelischen Kategorien zugunsten einer einzigen Kategorie, nämlich der Relation, dient zumeist die dialektische Ableitung in Scotus Eriugenas Periphyseon sive de divisione naturae. Es gibt also für diese neue Bewegung in der Renaissance bereits einen früheren Vorstoß, an dessen Fortführung nun konsequent gearbeitet wird.

Gefragt wird, unter dem Diktat primordialer Schriftlichkeit, nach der repraesentatio der Dinge, also nach ihrer Zeichennatur. Die alte Substanzmetaphysik gerät in den Sog einer als semiologisch zu klassifizierenden umfassenden Differenzierungstätigkeit. Und genau hier wächst dem Begriff der similitudo die zentrale Stellung, die Schlüsselposition zu. Unter dem Begriff der similitudo läßt sich darstellen, wie die Dinge, insofern sie "gelesene" sind und somit als "Bilder" erscheinen, überhaupt zu sinnvollen Ordnungen in Erkenntnisabsicht sortiert werden können. Similitudo bildet das Prinzip einer als Kontext verstandenen Seinsordnung, in der die Dinge, besser gesagt eben deren Erscheinungen, also imagines oder simulacra, in ihrer Zeichenhaftigkeit zu gewissermaßen neuartigen ornamentalen Strukturen verdichtet werden können.

Tomaso Campanella widmet sich in seiner Philosophia Realis von 1623 der Revision der Kategorienlehre als Fundament der metaphysischen Aussagenlehre und definiert:

"In mundo autem materialis unitas dicitur similitudo, qua idem est sibi simile, vel aliis, est etiam in omni re oppositio & divisio, quoniam constant ex essentia, quantitate, qualitate, actu, etc.....similitudo est influxus unitatis participiumque."

"In der materiellen Welt aber heißt die Einheit Ähnlichkeit, durch die ein Identisches ein sich oder anderen Ähnliches wird, es gibt nämlich in jedem Ding Entgegensetzung und Teilung, da (die Dinge) aus der Essenz, der Quantität, der Qualität etc. bestehen...Die Ähnlichkeit ist der Einfluß der Einheit und die Teilhabe (an ihr)."

In Campanellas Darlegung erhält die similitudo den Rang eines praedicamentum, eines wesentlichen Aussageform des Seins. Im Unterschied zu anderen praedicamenta - etwa der unitas -

"advertendum est, quod ad hoc praedicamentum reducitur omne signum; in ratione signi, ut nomina & verba & rationes significantia res conceptas, & ipsae conceptiones, quae sunt signa, & similitudines rerum, & omnia entia rationis."

"ist zu bemerken, daß auf dieses Prädikament jegliches Zeichen zurückgeführt wird; alles von der Art eines Zeichens, wie die Namen, Worte und Begriffe, die die Konzepte der Dinge bezeichnen, und die Konzepte selbst, die die Zeichen und Ähnlichkeiten der Dinge sind, und alle entia rationis."

Die Aufwertung des Begriffs der similitudo indiziert also eine an einer extrem rhetorischen Form von Logizität sich orientierendes Denken. In ihrer Geltung ist die logische Operation der begrifflichen Unterscheidung, des Vergleichs - "omnis comparatio est proles similitudinis" - und des Zusammenfügens derart impliziert, daß sie keinesfalls, obgleich sie sich ja nach Campanella ausdrücklich auf den "mundus materialis" erstreckt, bloß als Prädikament einer Art semiotischen Prozessualität der Natur verstanden werden kann. Campanella hebt das Konzeptionalistische, das die jeweiligen Erkenntnisformen reflektierende einer Erkenntnislehre unter dem Titel der similitudo stark hervor. Campanella formuliert:

"similitudo autem vocalis, & mentalis, & scripta ad ens, quod est extra repraesentatum"

"die Ähnlichkeit ist entweder eine sprachliche oder eine geistige, oder sie besteht im Verhältnis des Geschriebenen zum Sein, das (selbst) außerhalb repräsentiert wird".

In der neuen Bedeutung der similitudo ist also berücksichtigt, daß die Diagnostik der Dinge - die offenbar keine einfache Sache ist: " Sed quidem difficile est similitudines ordinare & distinguere" - sich im Medium des diagnostizierenden Vermögens vollzieht, d.h. sie bildet jenes Prädikament, in dem sich, darin ähnlich der Malerei, sich das Bewußtsein von der Mittelbarkeit der Wahrnehmung eine Form verschafft.

Der alte substanzielle Realismus ist allerdings, das muß betont werden, nicht vollständig aufgehoben, sondern gibt gewissermaßen die Hintergrundsstrahlung für das Funktionieren der semiotischen Arbeit an den Dingen ab.

"Sunt autem signa similia significatis semper, quando significant naturaliter, & exprimunt rei naturam"

"Es sind aber die Zeichen immer den bezeichneten (Dingen) ähnlich, wenn sie auf natürliche Weise bezeichnen und die Natur eines Dings ausdrücken."

Die Natur der Dinge muß, der Voraussetzung der Geltung der similitudo in der materiellen Welt, in der Welt des Vielen entsprechend, als Terminus ad quem konserviert werden; zu ihr geht der erkennende Mensch deutend, also Zeichen setzend und sie interpretierend, auf Distanz. Auf Distanz zu etwas gehen heißt ja nicht, es abschaffen oder vernichten; es heißt, den Blickwinkel ändern. So kommt die Suche nach den Ähnlichkeiten kommt einem Experiment gleich, der Herstellung eines artificium.

"nam vinum in mente est similitudo vini realis, sed in voce, licet non sit similitudo prorsus, est tamen aliqualis; & tanquam similitudo posita est ad notificandum simile."

"denn der Wein im Geist ist eine Ähnlichkeit des wirklichen Weines, aber (nur) sprachlich, so daß also dies keine vollständige Ähnlichkeit sein kann, aber sie besteht doch in gewisser Weise; und so ist die Ähnlichkeit gleichsam gesetzt, um ein Ähnliches zu bezeichnen."

Die similitudo als erkenntnisleitend anzunehmen und sich eben zum Sein der Dinge in Distanz zu setzen, bedeutet, sich von ihm gewissermaßen abzuwenden, um einen neuen, eher ingeniösen freien Raum für die Erkenntnistätigkeit gewinnen zu können, in dem die Bedrängung durch einen übermächtigen Wahrheitsanspruch aufgehoben oder annulliert ist. Der erkennende Mensch betätigt sich nach dem Vorbild der ersten Schöpfung als artifex bzw. als Natur von eigenen Gnaden. Die Dinge

"ab Arte, vel à Natura, vel à Deo fiunt in materia propter finem"

" entstehen aus der Kunst, oder aus der Natur oder aus Gott in Hinblick auf ein Ziel".

Die similitudo etabliert sich also dort - und das bestätigt die eingangs vorgestelle These von der symbolischen Relevanz der Perspektive -, wo der Mensch sich als Künstler betätigt, also dort, wo er im Sinne der techne erfinderisch ist und zu sein hat.

So heißt es:

"ut homo vivus est per se homo; pictus vero est homo, quatenus est vivi similitudo."

"wie der lebendige Mensch per se ein Mensch ist; so ist aber auch ein gemalter ein Mensch, insofern er eine Ähnlichkeit des lebendigen ist."

Die similitudo ist das Reich der Künste. Das opus, das unter der regelnden Ägide der similitudo zustandekommt, ist die Ordnung, der ordo . Die Ordnung repräsentiert jene Struktur, die die Dinge als zunächst uneindeutige, mittlere zwischen Identität und Verschiedenheit, als solche, deren Ort erst entdeckt oder gefunden werden muß, zeigt. Ordnung ist darüberhinaus die Form des Wissens des Vielen, d.h. also das Viele perspektivisch zur Inblicknahme durch das Eine komponiert. Ordo ist das Dispositiv des Vielen, in dem dieses intelligibel wird.

"Similitudinis essentialis diversitas ab aliis, est facere unum. Actus est assimilare & unificare."

"Der wesentliche Unterschied der Ähnlichkeit zu anderem besteht darin, daß sie (etwas) zu Einem macht. (Ihr) Akt ist, zu assimilieren und zu unifizieren."

In einem dem Sephirotbaum nachempfundenen Diagramm entwirft Campanella der similitudo eine Art Iconismus; die similitudo trägt die Krone, die ansonsten für die höchste Sephira Kether reserviert ist. Ihr gegenüber kommt in einem Kreis die "Metaphor" zu liegen, die deutlich macht, daß die logische Kraft der similitudo sich in die Herstellung von Verbindungen zwischen Verschiedenem ergießt. Die Kunst oder das Werk der similitudo vollzieht sich insbesondere im Transfer, in der Translatio, in der Transpositio des "unum per aliud", des "eines durch ein anderes". Als Kunst der Zusammenfügung bzw. der Aussage des einen durch ein anderes untersteht sie im weitesten Sinne einer Grammatik der Übersetzung, die in der Renaissance aus Gründen, die ich im zweiten Teil meiner Ausführungen darlegen möchte, zur wesentlichen, im Kern rhetorischen Erkenntnisform aufsteigt.

Der Befund, den man Campanellas exemplarischen Thesen entnehmen kann, enttäuscht möglicherweise die Erwartungen, die man an die similitudo aus der Retrospektive der ausformulierten Homöopathie heranzutragen geneigt sein könnte. Die Karriere der similitudo in der Renaissance-Metaphysik und Logik scheint zunächst vielmehr eine tiefe Welt-Bild-Krise, eine Art Entfremdung von den Quellen der natürlichen Erkenntnis, zu bebildern als holistische Projektionen zu bestätigen. Die Transformation des Wahrheitsbegriffs in der Renaissance hat aber neben der Destruktion der alten Substanzontologie unter dem Titel der similitudo auch ein Projekt auf den Weg gebracht, in welches sehr wohl gewisse "Heilungsabsichten" eingegangen waren. Krise und Heilung gehören auch für die Transformationen der Philosophie zusammen. Worin nun die Krise bestanden hat und wodurch man hoffte, ihr Abhilfe zu schaffen, werde ich im Folgenden - ohne allerdings auf die bekannten Umstände der durch den Nominalismus hervorgerufenen Skepsis in der Metaphysik näher einzugehen - zu beschreiben versuchen.

II.

Die Renaissance hat eine Art intellektuellen Katastrophismus produziert. Man wird in den Texten fortwährend auf das Lamento stoßen, die Alte Wahrheit und Weisheit seien für den Menschen verloren, hinter dem Diluvium, dem Turmbau zu Babel oder auch hinter dem Lapsus unter dem Pardiesbaum für immer verschwunden. Verschwunden sei die Wissenschaft des Protoplasten Adam, der von von Gott höchstpersönlich unterrichtet worden war, die Welt habe von oben bis unten einen Riß, der sich in alle Kreaturen fortsetze. Diese von den Autoren stets angeführte - und neuerdings von Umberto Eco in seiner Studie zur Suche nach der verlorenen Sprache gründlich recherchierte und rekonstruierte - kognitive Katastrophe harrt bis heute ihrer philosophischen Dechiffrierung oder auch tiefenpsychologischen Dekonstruktion. Ich möchte vorschlagen, diesen Renaissance-Katastrophismus als tiefgreifende Irritation zu Zeiten des Umbaus der Wahrnehmung durch die Medienrevolution des Buchdrucks zu interpetieren. Die primäre Orientierung des Menschen in der Welt verlegt sich in der Renaissance von der Architektur, vom Urhaus als Modell des Kosmos, auf die Schrift, was zunächst wohl zu nicht geringer Entwurzelungsangst und Entfremdungsgefühlen geführt haben mag. Die Schrift forderte neue Orientierungsstrategien und einen mehrdimensionalen Ausbau, um ihre neue universale Aufgabe erfüllen zu können.

Die Hieroglyphen, deren ubiquitäre Präsenz seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts angenommen werden muß, gerieten in diesem Zusammenhang zum Urbild eines Gefäßes für die alte, prä-katastrophischen Weisheit. Ihre Unleserlichkeit war die schlechthinnige Herausforderung an die Epoche: die Hieroglyphen zu entziffern schien dem Wiedergewinn der alten Weisheit, der Wiederherstellung des alten und ursprünglichen Modus der Erkenntnis den Weg ebnen zu können. Man machte sich also in großem Stile an die Dechiffrierung bzw., was dasselbe ist, an die Neuerfindung der Hieroglyphen, und übte sich so ein in die Transposition, in die Translation , in das Hinüberwechseln zur wahren, sozusagen "vollen" Schrift und somit zur Wahrheit selbst. In den Hieroglyphen - das haben auch alle Alchemisten vermutet, von Michael Maier, dem Leibarzt Rudolphs II bis zu Oswald Kroll - ist der Riß, die Trennung von der Welt nicht vollzogen; sie selbst sind nichts als die vollkommene "similitudo rerum", mit ihren zu Lettern transfigurierten Vögeln, Pflanzen, Tieren; sie machen die substanzielle Welt-Schrift aus, den Code der Natur.

In der "anderen Schrift" versucht man, den status ante lapsum zu erreichen. Psychotechnisch stehen für den "Umschaltvorgang" der eros, der furor und raptus, auch der Traum zur Verfügung; allem voran aber die Memoria.

Ich möchte mich kurz der memoria und ihrer spezifischen Affinität zur similitudo zuwenden, und zwar in der Hoffnung, daß sich von da her ein Schlaglicht auf den Bedeutungsaufschwung jenes Begriffs bis zu Campanella und noch über ihn hinaus werfen läßt. Dank der Arbeiten der englischen Gelehrten Frances A.Yates ist die Gedächtniskunst der Renaissance in der jüngeren Vergangenheit zu neuen Ehren gelangt, und die von Yates angestoßene und inspirierte Bewegung erfreut sich mittlerweile einer beinahe schon unübersehbaren Breite, und hoffentlich auch Tiefe. Daß in der Renaissance die Gedächtniskunst sich einer derartigen, sie über ihre rhetorische Subordiniertheit um Beträchtliches hinaussteigernden Vorrangigkeit erfreuen konnte, läßt den Schluß zu, daß das Gedächtnis sich als der Orientierungskrise wie kein anderes "Organ" neben ihm ausgeliefert und entschieden in Mitleidenschaft gezogen fand. Das Gedächtnis mußte, der Änderung der Primär-Orientierung entsprechend, "umgebaut" werden; es leuchtet ein, daß in solchen Zeiten das Gedächtnis, sonst ewig nur impliziertes, gewissermaßen "heiß" wird und gesonderten Reflexionen und technischen Bearbeitung unterzogen werden muß. Die Krise der Erkenntnis in der Renaissance war also auch als bedohliche Amnesie, als Gedächtnisschwund und Gedächtnisschwäche interpretiert worden, weshalb sich das Projekt der Wiederherstellung oder Wiedererlangung der Alten Weisheit bevorzugt als Rehabilitation der Gedächtnisfunktion begriffen hat.

In entscheidenden Punkten geht die Mnemotechnik der Renaissance über ihre antiken und spätantiken Vorbilder in Aristoteles, Cicero, der Rhetorica ad Herennium, Quintilian und auch in Augustinus hinaus, und zwar insbesondere, was die Fixierung der Gedächtnisbilder in einer architektonischen Basis-Struktur angeht. Anstatt einer Art eingerichteten oder dekorierten Sakralraums dienen zusehends die auf Flächen fixierbaren "Ähnlichkeiten", also "Lesbares" wie Bild und Text, als Gedächtnisstützen bzw. Elemente. Ich möchte nun kurz die Bedeutung und den logischen und strategischen Ort untersuchen, die die similitudo in der Entwicklung der Renaissance-Mnemotechnik beansprucht, wobei ich mich insbesondere auf die Mnemophilosophie Giordano Brunos und Lambert Schenckels berufen werde. Bruno steht für eine zur Selbständigkeit befreite Mnemotechnik, die nicht nur aus dem Schatten der dominikanischen Predigertradition heraustritt sondern sogar den Anspruch auf eine moderne Bewußtseins-Philosophie erhebt.

In der in Bezug auf die Mnemotechnik äußerst einflußreiche pseudo-lullistische Schrift De auditu kabbalistico wird das simile definiert in seiner großartigen Fähigkeit, sich in Relationalität, Kohärenz und Kontextualität zu etablieren, also auf einem von jenen Kräften dominierten Feld, die auch dem Gedächtnis, wenn es gut ist, eine Stütze sind:

"est autem simile ens, cujus etiam non dicit nisi relationem aequiparantiae, & habet sua correlativa essentialia videlicet similativum, similabile, & similare."

"Es ist aber das Simile ein Seiendes, das man nur hinsichtlich der Relation des Gleichkommens ausspricht, und es hat seine wesenhafte Korrelativa wie zum Beispiel das Similitativum, das Similabile, und das Similare."

Insofern das Gedächtnis mit den Signa der Dinge, also mit ihren Simulacren arbeitet, ruht es wesentlich auf der Prozessualität der similitudo auf. Das Gedächtnis ist eine Instanz, die weit mehr als die akute Wahrnehmung von der Welt gewissermaßen zurückgetreten ist und sich nur mit dem "Nachglühen" der Welt in den inneren Sinnen - wie beispielsweise im Traum - beschäftigt . Die Haftung der simulacren aneinander und im Gedächtnis als solchem scheint also die Leistung der similitudo zu sein, einer Ähnlichkeit, die gerade dank der Abwesenheit ontischer Inhalte, aus der phantasmatischen Substanzlosigkeit der Gedächtnisbilder die Metaphern zum wuchern bringt.

"Simile alius simile amat, alio simili gaudet, ad aliud simile fertur; simile simile excitat, movet atque trahit; simile similis fit, est atque cognoscitur. Similitudinibus ergo paratis omnia facimus, iisdem comparatis omnia perficimus."

"Das Ähnliche liebt ein anderes Ähnliches, es erfreut sich eines anderen Ähnlichen, es wird zu einem anderen Ähnlichen hingebracht; das Ähnliche erregt ein Ähnliches, bewegt es und zieht es an. Sobald wir also die Ähnlichkeiten bereitet haben, machen wir alles, wenn sie zur Verfügung stehen, vollenden wir alles."

Mit Hilfe des simile gelingt dem Mnemotechniker die Reintegration in eine Art Zusammenhang, die Rückführung in die Kohärenz, Assoziativität, Serialität und Kontextualität der Bilder. In der Operativität des simile besitzt der Mnemonist vermittels des Einen die Vielen, indem er das Eine für ein Anderes setzt bzw. sich an das magnum opus eines interpres macht. Lambert Schenckel schreibt:

"Igitur substantia una pro alia ponitur ob quam inter se similitudinem in substantia spectatam, ut si angelus pro anima, terra pro carne"

"Es wird also eine Substanz für eine andere gesetzt, auf grund einer zwischen ihnen gesehenen Ähnlichkeit der Substanz, wie wenn man einen Engel für die Seele, die Erde für das Fleisch setzt".

Er wird sich also des Flusses der simulacren in potentia sicher sein, sich auf das nieendende Weiter und Mehr verlassen können, denn es werden sich zwischen allen Dingen, die miteinander eine Beziehung haben, solche weiterführenden Ähnlichkeiten finden lassen . Darin kommt er der Natur gleich, deren unerschöpfliche Produktivität das Inbild der Kunst ist. Das simile hat hier eine unendlich amplifizierende Funktion, es stellt die vorgängige Verfügbarkeit des Vielen sicher und indiziert so die Kardinalähnlichkeit, nämlich die, die die Kunst mit der Natur hat.

Da demnach in der Phantastik und Imaginativität der Flüsse bzw. Ströme der simulacren auch eine implizierte oder gemeinte Natur am Werke ist, ist die Kunst der Erinnerung für die Renaissance die der generativen Entfaltung der Natur am nächsten kommende. Die Memoria ist für die Renaissance-Theoretiker die zur Kunst gewendete Natur , was als Philosophem sich ins abendländische Repertoire bis zu Ewald Hering, Richard Semon und natürlich Bergson einschreiben wird. Die zur Kunst gewendete Natur schien natürlich bestens geeignet für die Versuche, die Reparatur des Bruches, des Lapsus und der verhängnisvollen Amnesie anzugehen; sie bildet das Tor, durch welches man die Beschränktheit verlassen und in die unendliche Weite der Semiose geraten konnte. Dabei steht paradoxerweise gerade der Zeichencharakter und die Phänomenalität der sich assoziierenden Bilder für die Amplifikation, für die Möglichkeit, ganz Unerhörtes zu finden oder zu erfinden ; die Natur des neuen Scheins kommt in ihrem Umfang der versunkenen wahren Natur gleich und wird ihr ebenbürtig.

"Sicut inquam materia formis omnibus informatur ex omnibus, & passivus (quem vocant) intellectus formis omnibus informari potest ex omnibus: & memoria memorabilibus omnibus, ex omnibus. quia omne simile simili fit, omne simile simili cognoscitur, omne simile simili continetur."

"Wie die Materie mit allen Formen von allem informiert wird, so kann auch der passive Intellekt (so nennen sie ihn) von allen Formen informiert werden: und auch die Memoria von allen Memorabilia, von allem. Weil alles Ähnliche durch Ähnliches geschieht, alles Ähnliche durch Ähnliches erkannt wird, alles Ähnliche von Ähnlichem umfaßt wird."

Als Objekt ist dieses simile der Mnemotechnik ein Zeichen, das etwa einen herkömmlichen Buchstaben des phonetischen Alphabets zu transzendieren hat, also mithin ein Signum von der Qualität einer Hieroglyphe darstellt.

So bemerkt Lambert Schenckel zur "scriptura hieroglyphica", der er ein Kapitel in seinem Traktat zum künstlichen Gedächtnis widmet:

"Ad similitudinem pertinere videtur"

"Sie scheint zur Ähnlichkeit zu gehören."

Diesen Sigilla, Signa oder characteres, simulacra etc. kommt diese Kohärenz stiftende Potenz zu, sie sind auf hohem Niveau wirksame, ja derart "magnetisierende", daß Yates in der Tat erstaunt von einem "magischen Gedächtnis" in der Renaissance sprechen konnte. Sie erfüllen so den aus starken Vermutungen bestehenden Anspruch an die "andere Schrift", etwa an die Hieroglyphen bzw. das, was man in der Renaissance unter Hieroglyphen verstanden hat, nämlich den Anspruch, eine Welt-Schrift zu sein, eine Schrift, in der keineswegs ein nur als beschränkt bedeutsam zu bewertendes persönliches Gedächtnis, sondern das Gedächtnis der Welt und ihres Werdegangs, also eine Art Makrobiographie, niedergelegt sei. Jan und Aleida Assmann haben in ihrer Einleitung zur Neuauflage von Havelocks Studie zur Erfindung des griechischen Alphabets unterstrichen, daß in der Tat die realistische Bildhaftigkeit der Hieroglyphen sie zum "extremen Gegenstück" eines phonetischen Alphabets mache . Sie sei unendlich reicher als jenes, verfüge über mehrere Dimensionen und führe in der Konsequenz nicht zu dieser merkwürdigen Weltdistanz, die ein Merkmal des phonetischen Alphabetismus sei. Die Sehnsucht der Renaissance nach der "anderen" und wahreren Schrift scheint demnach auch ein fundamentum in re gehabt zu haben, die Projektionen der Hieroglyphophilen der Zeit gingen also offenbar - lange vor der Entzifferung der Hieroglyphen durch Champollion - in die richtige Richtung.

Der Zugang zu Simulacren von solcher Beschaffenheit bedeutete in jedem Fall auch die Möglichkeit der Manipulation der Natur, also die magische Arbeit an den Stoffen, die in diesen Simulacren repräsentiert und damit symbolisch geworden waren . Eine neben der Mnemotechnik höchst erfolgreiche Variante einer auf die Schriftspekulation basierenden Operativität bildet die Alchemie . Die Präsenz der Natur, also der Tiere und Pflanzen beispielsweise, in den Hieroglyphen , wurde von dem bereits erwähnten Michael Maier als Wink aufgefaßt, sie als Schrift oder Zeichensystem der Weltsubstanzen zu lesen. Für den Alchemisten und Arzt schien es auf der Hand zu liegen, daß die Ägypter in ihren Tempeln nicht nur die Theogonie, sondern mit ihr die Erzeugung der Stoffe, die in der Welt vorkommen und sie ausmachen, gemeint haben müssen . Wieder bildet das starke Argument für diese Annahme die spezifische Eigenschaft der hieroglyphischen Schrift, die sie zum phonetischen, also beispielsweise zum lateinischen Alphabet kontrastiert.

Michael Maier gibt in seinem Traktat "Arcana Arcanissima, hoc est Hieroglyphica Aegyptio-Graeca, vulgo necdum cognita" den sprechenden Untertitel:

"ad demonstrandam falsorum apud antiquos deorum, dearum,heroum, animantium &institutionum pro sacris receptorum, originem, ex uno Aegyptiorum artificio, quod aureum animi & corporis medicamentum peregit, deductam (...)".

"um den Ursprung der falschen Götter, Göttinnen, Heroen, Lebewesen und angenommenen Einrichtungen für die heiligen (Handlungen) aufzuweisen; und zwar hergeleitet aus dem Kunstwerk der Ägypter, welches die goldene Arznei der Seele und des Körpers lieferte."

Maiers den Hieroglyphen unterlegter Sinn besteht also weniger in einem herkömmlichen Text, sondern in einer hochbedeutsamen Rezeptur, in einem geheimen Wundermittel, um das sich die Religion schützend angeordnet habe.

"Nos ut fundamentum Aegyptiae doctrinae statuamus, ex innumeris indiciis exploratum habemus, in Aegypto scientiam quandam arcanissima naturae opera docentem, sive MEDICINAM AUREAM, non ex auro, sed auro millies pretiosorem, in usu extitisse, praesertim apud Philosophos, Sacerdotes, & Reges antiquissimos; quae ut posteris sapientioribus tradi posset, vulgo autem ignota maneret, pro scriptione occultas ab animalibus desumptas notas, à Graecis Hieroglyphicas dictas."

"Wir behaupten als Grundlage der ägyptischen Lehre, die wir aus unzähligen Anzeichen ausgeforscht haben, daß in Ägypten eine gewisse Wissenschaft ein höchst arkanes Werk der Natur lehre bzw. eine GOLDENE MEDIZIN, nicht aus Gold, sondern aus einem tausend mal wertvollerem Gold, in Gebrauch gewesen sei, besonders bei den Philosophen, Priestern und Königen des tiefsten Altertums. Damit dieses den nachkommenden Weisen überliefert werden könnte, dem gemeinen Volk aber unbekannt bliebe, entnahmen sie für dessen Niederschrift geheime Zeichen den Lebewesen, welche Zeichen bei den Griechen Hieroglyphen genannt wurden."

Diese Geheimnisse lüftende Lesekunst Maiers, besser gesagt: dieser doch stupende Versuch in der "anderen Schrift" hinter alchemische Wunder zu kommen, legt uns die Annahme nahe, die neuzeitliche esoterische Medizin habe ihre Geburt tatsächlich im manischen, genauer: mantischen Umgang mit fremden oder verfremdeten Zeichen gehabt. Botschaften, die man entschlüsselt haben aber auch einen Absender, mit dem man dann in dem erratenen Code kommunizieren kann. So entsteht schließlich, gewissermaßen dank eines "return to sender",der Eindruck, und das scheint auch der Zweck der Übung gewesen zu sein, daß die Natur bei demjenigen in die Schule gegangen sei, der sein Diplom in den sieben artes liberales absolviert hat. Die Rückversetzung in den allwissenden Leser altertümlicher Weltgeheimnisse legitimiert die Kooperation mit der Natur in der Weltgeschichte ihrer Genesis. In dieser Absicht trägt man gewissermaßen unter dem Kostüm der Magister Artium das liturgische Gewand der Priester des Dreimalgroßen Hermes. Maier zitiert die Autorität des Raymundus Lullus:

"Natura inquit, habet in se philosophiam & scientiam septem artium liberalium, quibus operatur: quoniam ipsa in se portat omnem geometricam formam & omnem rem terminat virtute arithmeticae suae per aequalitatem numeri certi & per noticiam rhetoricalem intellectum ducit de potentia in actionem."

"Die Natur, so sagt er, habe in sich die Philosophie und die Wissenschaft der sieben freien Künste, durch die sie sich ins Werk setzt: da sie selbst in sich die ganze geometrische Formenwelt trät und jedes Ding bestimmt durch die Kraft ihrer Arithmetik, durch die Gleichheit einer gewissen Zahl, und durch die rhetorische Bestimmung den Intellekt von der Potenz in den Akt überführt."

Die hermeneutische Zaghaftigkeit Brunos und Lambert Schenckels angesichts der Wahrheitsfrage in der Naturphilosophie scheint den Alchemisten, die ja nicht so sehr das Problem haben, wie denn die Natur ins Bewußtsein kommen könne, sondern vielmehr, wie man denn der Natur das Bewußtsein begreiflich machen solle, eher fern zu liegen. Hier lagert sich der alte, zum Bestand einer anderen großen Schrifttradition, zur jüdischen Esoterik und Kabbalistik gehörige, theurgische und magische Habitus in das Hantieren mit den Zeichen ein. Moshe Idel und Charles Mopsick haben jüngst in ihrem umfangreiches Material bietendes Buch "Les rites qui font Dieu" den in der christlichen Spiritualität, auch dort, wo sie sich kabbalistischer Spekulationen bedient, meist unterdrückten Gedanken ausgebreitet, daß die Götter durch das Opus, den essentiierenden Ritus des Menschen erzeugt würden. Wer aber Gott manipulieren will, der wendet sich zunächst an die Natur. Oswald Croll, ein bedeutender, wie Maier in der Signaturenlehre bewanderter Alchemist und Arzt der nächsten Generation, schreibt zu diesem Thema:

"Sind demnach alle Kräuter/Blumen/Bäume und andere Gewächse der Erden/gleichsamb Bücher und Magische Zeichen...Die Magia aber/welche in dem Liecht der Natur eine Lehrmeisterin und der ganzen natürlichen Philosophie allervollkommenste Wissenschaft ist/giebt die Erkanntnuß der verborgenen Krafft."

Es schließt sich der Kreis: erst waren die Gewächse similitudines der Schrift, dann die Schrift similitudines der Gewächse. Erst wurden sie in der Schrift entdeckt, dann die Schrift in ihnen. Das Auge des Lesers sitzt wie eine Spinne im Netz und kreist auf der Suche nach Lesbarem. Crolls similitudines lesen sich etwa so:

"Die welsche Nüß haben die gantze Signatur oder Zeichen des Haupts. Ihr eusserste Rinde oder Nußlauff/vergleichen sich dem Pericraneo oder Häutlein ober der Hirnschahl:Dannenhero auch das Saltz auß solchen Rinden gemacht/ zu den Wunden dieses Häutleins ein sonderbar Mittel ist. Die harte Schal vergleicht sich der Hirnschahl. Das inwendige Häutlin /mit welchem der Kern selbst überzogen ist/referiert oder präsentiert die Häutlin des Hirns. Der Kern selbst aber die Substanz des Hirns. Ist derowegen auch zu demselbigen sehr bequem und schwächt die Gifft. Dann wann er wirdt gestoßen/mit gebrannten Wein befeucht und auff den Hauptwürbel gelegt/stärcket er das Hirn und gantze Haupt gewaltig."

Im Anblick der Natur fühlt sich der Leser an etwas erinnert, und in dieser, der Logik der similitudo gehorchenden Assoziationsbewegung rührt er - auch wenn einem dies vielleicht nach dem eben vernommenen Zitat Crolls als zu hoch gegriffen vorkommen könnte, so etwas zu hoffen - an etwas Verlorenes, stellt einen elementaren Kontakt wieder her, in dem er sich um eine wesentliche Dimension ergänzt. Es spricht alles dafür, daß die similitudo, ganz wie in Campanellas eingangs referierten metaphysischen Leitsatz, dort gilt, wo das Materielle ist, wo sich der Mensch als verkörperte Seele, als eigentümliches, zusammengemischtes Rätselwesen vorfindet. Auch er ist nicht identisch, nur ähnlich. Im Reiche der Ähnlichkeit versucht er, dem Rätsel auf die Spur zu kommen, von Ähnlichkeit zu Ähnlichkeit. Die similitudo erscheint so als das Prinzip nicht nur der ihm adäquaten Form der Erkenntis, sondern auch des Seins, also der simulation. Der Mensch bildet selbst die similitudo der Großen Welt, der Mikrokosmos.

Es ist nach dem Gesagten wahrscheinlich, daß in der Renaissance nicht nur der Begriff der similitudo philosophische und alchemistische Hochkonjunktur hatte, sondern daß darüberhinaus sogar eine Art homoöopathische Medizin bekannt war. Bruno erwähnt in "Über die Monas, die Zahl und die Figur" ein gewisses "thrazisches oder syrisches Mysterium", das sich mit der Korrespondenz des Großen mit dem Kleinen in Modellen der Wirkung, die die Substanzen auf den Spiritus oder Leibgeist haben, beschäftigt. Er entlädt ein Donnerwetter über die aristotelischen Ärzte, "gewisse Mediziner, Doktoren der Ignoranz", die "so gelehrt als nur irgend bewirken, daß der bemitleidenswerte Kranke mit ungeheuren Martern seine Tage dahinsiecht." Er kritisiert die Ablehnung, die eine bestimmte Therapie durch diese Ärzte erfahre: "Daher meint man, daß das Heilmittel in dieser Gattung etwas Unerlaubtes sei, wie es ein Zaubermittel ist, und es sei nicht erlaubt, den Theriak der Schlange und das Öl des Skorpions gegen den Biß derselben und ihre giftigen Angriffe anzuwenden. Und so ist gleichsam zwischen dem Arzt (den du nicht leben lassen willst) und dem Zauberer, zwischen dem Giftmischer und dem ein Gegenmittel herstellenden (weil sie in der Materie, in der Kunst und in einer gewissen ersten Form übereinstimmen können) ihrem Vergehen nach nicht zu unterscheiden." Bruno scheint eine über das Konzept des Antidots hinausgehende Vorstellung vom Zusammenhang zwischen Symptom und Stoff gehabt zu haben, der das Heranziehen eines "Verursachers" von Krankheiten als Medikament sinnvoll erscheinen ließ.

© Copyright: Elisabeth von Samsonow, 2002.