samonow header

ALLVERWANDELBARES PROTOPLASMA

 

Vortrag, München 1999

 

Meine Absicht ist es, Ihnen etwas über Brunos unendliche Welten vorzutragen, über seine Unendlichkeit und über seinen Pantheismus, also über all jenes, wofür er berühmt geworden ist und wofür - das darf ich annehmen - er als Schirmherr dieser Ausstellung erwählt worden ist. Ich will nur ein wenig mit der Gepflogenheit brechen, die die Bruno-Interpreten oder Bruno-Freunde als solche charakterisiert, daß sie nämlich vornehmlich von Brunos Welten, vom Weltall und den kreisenden Planeten usf. reden und dann in einem zweiten, von dem ersten durch eine deutliche Verschnaufpause getrennten Atemzug mindestens ebenso pathetisch vom ergriffenen Helden.

Ich nehme eigentlich an, daß Brunos Philosophie darin ein durchaus verständliches Unternehmen ist, daß er zugleich mit dem Entwurf eines neuen Hauses - das wäre der unendliche Kosmos - einen in ihm möglichen Bewohner - den Helden - in Arbeit nimmt.

Ich möchte mich also in meiner Darstellung der Philosophie Giordano Brunos auf zwei Gesichtspunkte konzentrieren, von denen ich annehme, daß sie für die in unserer Zusammenkunft zur Debatte stehenden Fragen relevant und geeignet sind, in einer Art Bruno-Festspiel seine bewunderungwürdigsten Ideen zu erinnern:

- der erste betrifft den inneren Zusammenhang zwischen der Affektenlehre und dem Pantheismus bei Bruno

- und der zweite Brunos materialistische These zum Verhältnis zwischen Bewußtsein und Natur in der Ars memoriae.

Die Kunst der Erinnerung, so viel sei hier schon vorausgeschickt, scheint mir der Schlüssel auch zu Brunos Kosmologie zu sein. Die Kunst der Erinnerung stimmt die unendlichen Welten mit dem Unendlichwerden des Geistes zusammen. Der Kosmos bildet die Extroversion eines unendlich gefalteten Gedächtnisses.

Also zum ersten Punkt, dem Verhältnis zwischen der Affektenlehre und dem Pantheismus. Ich möchte dieses Thema nicht unter dem Oberbegriff einer erweiterten Rhetorik behandeln, wie das - gerade in Bezug auf die Rekonstruktion der Affektenlehren der Renaissance und des Frühbarock - nahe liegt und auch üblich ist, sondern es unter dem Titel einer »Anthropologie der Entgrenzung« in den Blick nehmen. Ich tue dies in der Absicht, der Folgerichtigkeit im gleichzeitigen Auftreten der beiden theoretischen Stränge - also Affektenlehre und Pantheismus - bei Bruno Relief zu verleihen. Die »Anthropologie der Entgrenzung« scheint für beide theoretische Linien einen wichtigen gemeinsamen Ausgangspunkt zu bilden. Wenn ich hier einen rhetorischen Deutungsansatz zurückdränge, dann deshalb, weil er die Synopsis von kognitiver Strategie und Kosmologie aufgrund seiner Schmalheit nicht bewältigen würde.

Um diese Synopsis von kognitiver Strategie und Kosmologie zu ermöglichen, möchte ich sogar die emphatischen und ekstatischen Töne bei Bruno erhalten wissen, die man sonst schon deswegen überhören muß, weil sie bisher hauptsächlich dazu angetan waren, gewisse Bruno-Autoren zu adrenalisieren. Das Motiv der Überspanntheit, das mystische Motiv, ist für meine Interpretation sowohl aus ästhetischen wie aus systematischen Gründen wesentlich.

Ich möchte nur eingangs den älteren kosmologischen Hintergrund der Philosophie Brunos in Erinnerung bringen und, um Brunos leibhaftige Investition des Menschen in den Kosmos in den Blick zu bekommen, kurz auf die Kosmogonie der Alten Welt zurückgreifen.

Hier werden Entgrenzungserfahrungen in den Akten des Lachens, Niesens, Ejakulierens , ja selbst des Wasserlassens und Defäkierens zur Deutung der Schöpfungshandlungen herangezogen. Das Motiv der Kreation wird immer als emotiv aufgefaßt, die ursprünglichste Bewegung (Motion) ist immer Emotion, die leibliche Zuständlichkeit konsequent modifiziert. Das klassische Beispiel für diese Akte der Welterzeugung aus dem »Überströmen« ist die Erschaffung von Schu und Tefnut in der Ejakulation Atums in der altägyptischer Genesis. Daß solche Vorstellungen auch im philosophischen Denken präsent bleiben, und zwar insbesondere in der Metaphysik, belegen etwa die Schöpfungskommentare des Spätmittelalters, wo vom vor Liebe überfließenden Gott als Urheber der Schöpfung die Rede ist. Robert de Grosseteste, der Bischof von Lincoln, beispielsweise zeigt im Hexaemeron, wie es zur Schöpfung kam, indem Gott nicht mehr an sich halten konnte, inkontinent wurde gewissermaßen. Was ich damit sagen will, ist dies, daß alle diese göttlichen Welterzeugungsarten aus dem Vorhandensein eines übermäßigen, jedenfalls aber nicht unerheblichen inneren Drucks verstanden werden können. Innerer Druck ist die Ursache göttlichen »Hinausbrechens in die Schöpfung«, wie es bei Kepler heißt ( deus irrupuit in creationem), weil er sich nicht mehr in der Einfachheit des Punktes erhalten konnte. Druck ist also die Ursache von AUSDruck.

Eine komplementäre, für eine »Anthropologie der Entgrenzung« grundlegende Erfahrung ist die, die weniger durch das Sichbahnen inneren Drucks als durch äußeren Sog zustande kommt. Hier geht es weniger um Expression als vielmehr um Extension und Expansion eines Selbst, das in der Kontaktnahme mit der Welt - in welcher Gestalt auch immer - affiziert oder nachhaltig berührt wird. Giordano Bruno reklamiert diesen Pathos der Entgrenzung des Selbst im Sog und entwickelt an ihm sein Modell des ergriffenen Heros. Dieser spielt ein nieendendes Drama auf der philosophischen Bühne eines Stücks bzw. einer Lehre, die die Einheit des Stoffes in allen Lebewesen, Formen und Dingen etc. behauptet, d.h. auf der Bühne des Monismus. Der angenommene und immer unterlegte Zusammenhang von Allem mit Allem zeigt sich in der höchst reaktions - oder eindrucksfähigen Affektivität des Heros, und insbesondere in dem Affekt der Liebe, der seine adäquate Reaktion auf die Erkenntnis ursprünglicher Zugehörigkeit mit dem Affizierenden darstellt und zudem - in Brunos Erkenntnisdrama in außerordentlich prägnanter Weise - als Medium der effektivsten Entgrenzungserfahrung fungiert. Der Heros ist immer verliebt, in die Welt verstrickt.

Bruno nimmt hier ein Motiv auf, das für die Renaissance insgesamt bedeutsam war, nämlich das des »Menschen in der Welt«, der »unter (ihrem) Einfluß« steht bzw. in unserer Terminologie, dem Sog ausgesetzt ist. Die nachgerade erotische Attraktivität, die ein anderes ausübt, vermag der Metempsychose ähnliche Vorgänge in Gang zu setzen: die Seele des Liebenden wird buchstäblich aus ihrem Körper herausgezogen, sie zieht in den Körper des Geliebten ein und lebt dort, ihren alten verwaist zurück lassend, weiter.

»Die Herrschaft Cupidos stützt sich darauf, daß die Seele des Liebenden, nachdem sie ihren Körper verlassen hat, in einem fremden lebt und handelt. Die Transformation Cupidos findet dort statt, wo ein für sich Toter in einem fremden Leben lebt, weshalb er ja eigentlich nicht so sehr in einem ihm fremden Domizil lebt, sondern wieder gleichsam in seinem eigenen.«

Bruno steht mit seinen Überlegungen auf dem Boden einer präcartesianischen Psychologie, die Beseelung im Gefälle von viel und wenig Seele, feinerer oder gröberer, viel oder wenig Körper denkt, also sich dem Einfluß, den die Trennung der res cogitans von der res extensa ausgeübt hat, entzieht. Diese Psychologie entstammt einer älteren Physiologie, die Astrologie und Säfte- oder Temperamentenlehre miteinander verband, was auch ihren medizinischen bzw. pharmakologischen oder materialistischen Grundton erklärt. Alle Wesen werden aus den Elementen der sublunaren Welt zusammengemischt, wobei ihre jeweiliger Mischungskoeffizient auch etwas über ihren inneren Zustand auszusagen in der Lage ist. Der Fluß der Transformation und Komplexionen bringt auch den affizierten Heros der Eroici furori bei Bruno hervor. Der Heros, der in den Sog des geliebten Objekts gerät, fängt an, das Begehrte wie eine ersehnte (erhungerte) Speise zu umschließen, bis er ganz in jenes verwandelt ist. Handelt es sich bei dem geliebten Objekt um Gott, so steht natürlich die Apotheose bevor, da die Transformation oder Metanoia stets in einem Verähnlichungsvorgang besteht, der den Verliebten an das Geliebte angleicht. Der Heros ist der, der mit der Empfänglichkeit seiner Seele operiert, manövriert und sie kognitiv zu nutzen lernt. Insofern er selbst Ort der Transformation ist, löst er leibhaftig ein, was als Prinzip des Monismus formuliert worden ist: daß es nur einen Stoff in unendlichen Variationen gibt. Aus der Warte des Erlebens bzw. des Subjekts stellt sich der Monismus Brunos als strategische Bewältigung von Affektivität dar bzw. als jene Zumutung an ein begrenztes Wesen, sich an das Ganze in Form starker Entgrenzungserfahrungen anzuschließen. Der Heros hat teil am sich stets verwandelnden Gesicht der Materie, die alles ist und alles sein kann, das große Prinzip der Wandlung, das immer es selbst und immer anderes ist. Dabei steht die »ubiquitäre Subsistenz« der Materie, für ihr hartnäckiges Dasein, Immer-und überall-Sein, für die implizierte Leiblichkeit, die sich der affektive, d.h. also imaginierende Geist mit dem Spinozas teilt. Die Anschaulichkeit der Wahrnehmung gründet in der leiblichen Verfaßtheit des Erkennenden., d.h. das Organ, um das es geht, ist die Imagination, die die Affektionen der Sinne als Welt in extenso deutet.

Die Amplitude, der der Heros zu entsprechen versucht, ist also identisch mit der absoluten Extension Gottes, d.h. er strebt einen Zustand an, der zu seiner Explication oder auch Expression - wie wie im Falle Gottes bei Spinoza - keines äußeren Objektes mehr bedarf. Die Metaphysik Brunos verbindet so den absoluten Anspruch eines ersten Prinzip auf Explikation/Expression mit absoluter Expansion. Und tatsächlich ist aus der Perspektive höchster affektiver Entgrenzung betrachtet der Pantheismus oder genauer: eine näher zu betrachtende metaphysische Tautologie oder die Konvertibilität der (der eingefalteten und der ausgefalteten) Substanz(en) das kongeniale philosophische Konzept.

Bruno greift mit diesen höchstem philosophischen Ansprüchen zurück auf die Tradition pantheistisch angelegter Metaphysik, die zu den schwierigsten und meist umstrittenen Unternehmungen des Denkens gehört hat und gehört.

Bruno hat sich beispielsweise mit Hinweisen auf die Epikuräer und auf David von Dinant in die große Linie ketzerischen Denkens eingereiht, das die Einheit und Äquivalenz allen Stoffs gefordert hat, die Einheit von Geist und Materie, von Gott und Welt. David von Dinant hatte in »De tomis« geschrieben, daß Gott die Materie aller Dinge sei, und genau als Urheber dieser Position zitiert ihn Bruno in »Della causa« und merkt an, man habe ihn, David von Dinant, offenbar mißverstanden. »De tomis« schließt konzeptuell an die Demiurgie des Timaios an, wo in der Zerteilung des einen Stoffes der intelligible Kosmos entsteht. David von Dinant scheint in seiner Schrift »de tomis« das Verfahren des Scotus Eriugena aufgenommen und das Thema von Einheit und Vielheit in einer Logik bzw.Dialektik der Zerschneidung erfaßt zu haben.

Die Schwierigkeiten, die die Denker des einen Stoffs hatten - auch Lukrez gehört zu ihnen - lagen zum einen in der Darstellung der Dispositionen und Differenzierungen dieses Stoff und weiters in der Einsetzung von Prinzipien, die paradoxerweise die Last der Differenzierung zu tragen hatten, ohne zugleich die Einheit des Stoffs aufzuheben. Mit den Mitteln der alten Substanz-Ontologie des Mittelalters geriet die These vom einen Stoff in vielen Erscheinungsweisen zu einer scheußlichen Theorie, deren Schwerfälligkeit und plumper Mystizismus vielleicht mehr noch als ihre mangelnde Übereinstimmung mit der kirchlichen Lehrmeinung die Verdammung verdient hat. Man muß vielleicht hier dazusagen, daß weder die griechische Mythologie noch natürlich das Christentum sich die Ungeheuerlichkeiten erlauben haben wollen, die der Hinduismus in den göttlichen Geschichten durchspielt, nämlich etwa die Verwandlung des einen Gottes in einen anderen (etwa Shivas in Vishnu), um sich in dessen Kostüm die Vorteile zu sichern, die sonst nur dem anderen gewährt worden wären. Das heißt, daß die christliche Philosophie in diesem Punkt eine tiefsitzende Abneigung gegen und theologische Tabu-Angst gegenüber dem Denken der wandelbaren Substanz pflog, die vielleicht die Strafmaßnahmen, die gegen eine solche Idee angewendet wurden, wenn schon nicht rechtfertigt, dann wenigstens erklärt.

Meine These ist nun die, daß Bruno das Thema des einen Stoffs unter vollkommen veränderten Bedingungen wieder aufnehmen konnte, und zwar insofern, als sich mit der Lehre des katalanischen Philosophen Raimundus Lullus und der Rezeption kabbalistischer grammatischer Techniken gerade in Hinblick auf den schwachen Punkt des alten Monismus, nämlich die kurzschlußartige Gleichsetzung der Substanzen, neue Möglichkeiten eröffneten. Es tritt also hier - und das hat Giordano Bruno, als bald kanonisierter Kommentator lullistischer Schriften nicht versäumt, ständig und gebührend hervorzuheben - der Lullismus in seiner Funktion als Hoffnung oder Utopie seiner Philosophie in Erscheinung. Das Stichwort lautet: conversio (Verdrehung) oder transpositio (Verschiebung).

Lull (oder nach jüngeren Erkenntnissen) Pseudo-Lull behandelt in der Schrift »De auditu kabbalistico« die Möglichkeiten, die sich aus der Kombination der göttlichen Attribute ergeben, wobei in eigentümlichen logischen Schritten vor allem und immer wieder die Konsequenzen aus der CONVERSIO des Subjekts mit dem Prädikat erprobt werden. »Est enim conversio transpositio subjecti in praedicatum & e converso«.

»Die Verdrehung ist nämlich die Verschiebung/Vertauschung des Subjekts und des Prädikats und umgekehrt.«

Das kombinatorische Dispositiv der Lullschen Logik hat erstaunlicherweise zunächst weniger die kombinatorische Vervielfältigung und Erweiterung bis zur Potenzierung als solche zum Zweck als vielmehr die Beantwortung der anstehenden Frage, in welchem Verhältnis denn nun tatsächlich das Subjekt zum Prädikat zu denken sei bzw. in welchem Verhältnis Gott zu seinen neun »qualitates«. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das »Medium« ( s. dazu die kleinen Schriften: DE VENATIONE MEDII inter subiectum et praedicatum, und: DE CONVERSIONE SUBIECTI ET PRAEDICATI PER MEDIUM, alle in Opera omnia bei Zetzner 1651), welches zur kombinatorisch manövrierfähig gemachten Beziehung zwischen einem Subjekt und einem jeweiligen Prädikat wird. Mit diesem kombinatorisch geladenen »Medium« erlangt die Lullsche Grammatik der Transposition bei Bruno die Würde eines Prozessors einer neuen Metaphysik: diese Metaphysik könnte man durchaus nach Lull als »Passion des Subjekts bezeichnen«: »Namque per talem combinationem intellectus pervenit ad perfectam notitiam propriae passionis de omni subiecto cuiuscunque generis.«.

»Denn durch eine solche Kombination gelangt der Intellekt zur vollkommenen Kenntnis seiner der jeweils ihm eigenen Passion eines jeden Subjekts, von welcher Art es auch immer sei.«

Nähme man etwa an, daß das »Subjectum« die Substanz Gottes ist, läßt sich die Passion des Subjekts als die Passion Gottes in der Attribuition oder Weltwerdung lesen.

Der Pantheismus alter Prägung, der sich auf eine, auf das Sein der Dinge hin ausgerichtete Metaphysik gestützt hatte, mußte vor der Vorstellung, eines ein anderes werden zu lassen, kapitulieren: er hätte nämlich damit automatisch die Substanz des Dings, das seine Erkennbarkeit garantierte, preisgegeben. Die Transposition nach einem grammatischen Modell erlaubte hingegen, das Werden als Übersetzung zu denken, das heißt eine Modifikation oder Ver-Anderung ohne Substanzverlust.

Lulls Theorie bediente sich in der Formulierung dieser These wahrscheinlich der im Buch Jetzirah formulierten Grundidee, daß die Elemente der Schöpfung mit dem Alphabet gegeben seien. Ein unter dem Horizont der Schrift ideierter Gott, also der Herr der Schrift, kann folglich im wesentlichen als die ganze Substanz eines Textes gedeutet werden, was genau den Sachverhalt ausmacht, auf den sich die Kabbalisten berufen. Damit ist der Horizont einer gewöhnlichen Grammatik oder Rhetorik bereits überschritten. In dem Augenblick, in dem die Metaphysik unter das Regime der Schrift gerät - und das ist besonders hier, aber überhaupt in der Renaissance zweifellos so - öffnen sich für die Deutung des Zusammenhangs zwischen Gott und Welt bzw.Natur neue Perspektiven. Bruno nimmt das Thema des David von Dinant wieder auf, aber er ist nicht mehr auf die Metaphysik der zerteilten Urmaterie angewiesen. Er versucht, wie David von Dinant Gott als die Materie der Welt bzw. die Welt als den Körper Gottes zu denken, aber er hat im Lullismus - und natürlich auch in der Koinzidenzlogik des Cusanus, die aber hier nicht unser Thema ist - eine neue, elegante Prozeßlogik für die Konzeption dieses Gedankens zur Verfügung. Sein Denken kreist nun unermüdlich um die Darstellung dieser Form von Kosmologie.

Bruno ist der Denker der Diskretion, der Differenzierung und der Vervielfältigung in der Einheit, allerdings immer innerhalb des Horizonts eines Seins, dessen Funktionen grammatisch und kombinatorisch darstellbar sind. Die Übersetzungsarbeit besteht in der Überführung eines Idem in ein Aliud, zu dem es in einer Relation weniger der Explikation als der Expression steht. Die Installation eines grammatischen Transpositionsprozessors im Zentrum einer neuen Metaphysik legt Gott und Welt als modi ein und der derselben Substanz auseinander, d.h. die Welt ist Gott ANDERS AUSGEDRÜCKT. Die Modalontologie - um sie einmal provisorisch so zu bezeichnen - muß einen Ausdruck des Selben fordern, da selbst Identität, wie wir aus der Schöpfungsgeschichte wissen, nicht ohne eine Relation ad quem sein kann. Dieser Ausdruck ist eben die Welt als Körper Gottes, in dem, wie Bruno in »Della causa« schreibt, ein unendlich Undargestelltes zu seiner notwendig unendlichen Darstellung kommt. Die Kosmologie ist daher die erste Aufgabe der Philosophen, die in ihr eine Art von Protoplastik ebtwerfen, die die Imaginabilität - die Vorstellbarkeit - von allem durch ein erstes All phantastisch präformiert.

Der als wichtiges Thema der Zeit breiten Raum einehmende Kopernikanismus bei Bruno hat in der Bruno-Rezeption den Blick dafür verstellt, daß Brunos Kosmologie sich vielmehr aus dieser primären Fragestellung als aus einem allgemeinen Interesse an naturphilosophischen oder physikalischen Themen.

Die erste Schrift, mit der Bruno an die Öffentlichkeit tritt, zeigt bereits den Akzent bzw. die Lösung an, mit der er dem Problem des Monismus zu Leibe rücken wird: nämlich mit einer Konzeption der memoria, die die Last der Modifikation bzw. der Übersetzung zu tragen haben wird. Die memoria reift also erst bei Bruno zu dieser grammatischen Super-Maschine des Transfers ( einer »verschärften« Metapher ) heran, als welche sie in den apologetischen Renaissance-Schriften beizeiten projektiert worden war.

Damit zum zweiten Punkt: - Bei Bruno wird die memoria die monistische Substanz - die eine und einzige Substanz - manövrierfähig machen. In ihrem Begriff wird ein anderer Modus zwar angenommen, aber als abwesend anwesend gedacht. Damit ist die theoretische Scheußlichkeit vermieden, die Simultaneität von Identität(en) setzt, also das Selbe im Plural, mehrere große Einsen oder mehrere einzige Substanzen annimmt. Der alte Topos von der corporalitas des Gedächtnisses, seiner Leibhaftigkeit, wird von Bruno umgedeutet zum expliziten Motiv der Materialität oder Verkörperung der Substanz. Die memoria bewahrt die Identität der Substanz in den verschiedenen Seinsweisen (Modi) und bildet so den Großen Transformator der ewigen Eins. Hier erweist sich wiederum der Einsatz der lullistischen Kombinatorik in besonderer Weise als hilfreich, insofern sie in der Tat im Aneinander der Alphabetreihen den Übersetzungsmechanismus als Wendungen der Eins augenfällig macht. Der Große Schlüssel, Titel einer von Bruno öfters erwähnten verschollenen Schrift, sperrt genau die Beziehungen, die die alte Seinsmetaphysik so mühevoll reflektiert hatte, mit Leichtigkeit: indem sie eben Relation als transpositio/Versetzung oder translatio/Verschiebung ausgibt.

Umgekehrt ist es so, daß die Faltung des Erkenntnisobjekts in seine Weisen dem Erkennenden eine gewisse Methodik der Erkenntnis zumutet. Die direkte und unmittelbare Erkenntnisintention wird als der Faltung und Chiffrierung nicht gewachsener Habitus ausgegrenzt; Erkenntnisakte werden zu Entschlüsselungsakten umgebaut. In den Intentionen und Konzepten der Schatten zu Beginn der Schrift »De umbris idearum« gibt Bruno die Elemente einer Methodik an die Hand, die sich in der transponierenden, d.h. in der Diagnostik von Schattenrissen übt, und zwar jeweils unter der Prämisse, daß Schatten Expressiones, Ver-anderungen eines Idem, der einen Substanz sind.

Der Materialismus Brunos könnte demnach so zu lesen sein, daß die »mens insita omnibus«, also die Natur, die erste Übersetzung Gottes ist, also jene Veranderung, die ihn zu einem Körper modifiziert. Die Natur ist der Körper Gottes, in der er als Identität abwesend, aber als sie übersetzende Erinnerungen seiner Identität anwesend ist. Das ist das Geheimnis der salomonischen »solaren Kunst«, mit der sich Bruno in der Einleitung zu »De umbris« wichtig macht.

Ich möchte nun abschließend versuchen, die Verschränkung der Affektenlehre mit der »grammatischen« oder grammatisierenden Metaphysik des Pantheismus in Brunos »Erfindung« der memoria artificialis, d.h. seiner Schattenlehre darzustellen. Ich möchte ferner andeuten, wie sich der Pantheismus in Brunos mnemotechnischer Wendung bzw. in Kontamination mit seiner Gedächtniskunst entscheidend transformiert.

Sofern der Mensch als bloß affizierter agiert, kommt er gewissermaßen nur unter die Räder der Natur und desjenigen, was als Gedächtnis der Natur Modus der göttlichen Substanz ist. Im Besitz des natürlichen Gedächtnisses erlebt er, was Descartes als »passions d'ame« beschrieben und Spinoza als die »servitudo hominis« im vorletzten Teil der Ethik ausgemalt hat. In diesem Zustand werden raptus und furor - also der »Sog« und seine Auswirkungen - zwar erlitten, aber es ist noch nicht diese Peripetie erreicht, in der, wie bei Bruno, der Umschlag von der Natur in die Kunst der Erinnerung stattfindet. Bruno definiert den Beginn des Königswegs mit jenem Punkt, an dem das natürliche Gedächtnis zum künstlichen umgestaltet werden kann. An diesem Punkt beginnt das Subjekt mit der technischen Operation seines Gedächtnisses, indem es eine starke phantastische Konstruktion als eine Art autosuggestivem Grundplanes sich selbst induziert. Solange nur Affiziertheiten auf der Ebene des natürlichen Gedächtnisses vorliegen, d.h. genauer: solange die Imagination nur von den magischen Bildern des Begehrens etc. besessen ist, ist noch kein Subjekt da, sondern nur ein vollständig Ergriffenes, nur Hingerissenes im Zustande seiner Auflösung im Sog des Objekts.

»Sed unde inquam haec arti facultas? inde nimirum ubi viget ingenium. Ingenium cuius est proxime? hominis. Homo vero cum suis facultatibus omnibus unde emanavit primo? à natura sané parturiente. Ergo si rem ab exordio inturberis, & ab ipsa radice hanc arborem transplantandam velis evellere: ad naturae cultum, atque recognitionem inclinatur.«

»Und woher kommt also die Begabung zu dieser Kunst (der Erinnerung)? Daher natürlich, wo das Ingenium seinen Ursprung nimmt. Und wem ist dieses Ingenium am nächsten? Dem Menschen. Der Mensch aber mit allen seinen Gaben, woher kam er im Anfang? Aus der Natur, die nichts ist als Gebären. Wenn du also die Sache von ihrem Anfang her angehen willst und diesen Baum, den es zu transplantieren gilt, von seiner Wurzel her angehen willst, dann siehtst du, daß er der der Pflege (cultus) der Natur und ihrer Erkenntnis zugehört.«

Mit Hilfe des künstlichen Gedächtnisses taucht das Subjekt gewissermaßen noch einmal tief i in die Natur hinein, die es sonst nur erlitte, und schließt sich an eine produktive Sphäre, also an ein kreatives Innen an, wo an der Übersetzung an sich manipuliert werden kann und die Gesetze des Ausdrucks formuliert werden. In der Erfindung des künstlichen Gedächtnisses bezieht sich das Subjekt explizit auf denjenigen Umschlagspunkt, wo die Natur zur begriffenen und damit zur Kunst wird, wo Modalität hergestellt wird, und entwickelt in der Aus-und Einprägung von neuen Codes Matrizen für die Möglichkeiten der genetischen, ja sogar der heterogenetischen Logik des Werdens. Bruno nennt diesen Umschlagpunkt cultus. Dieser liegt im apex naturae, im Scheitelpunkt der Natur, die eine Heterogenese oder zweifache Genealogie anstößt, weshalb ganz richtig - und das dürfte für die romantischen Interpreten von nicht unerheblicher Bedeutung gewesen sein - der Mnemotechniker als Co-Operator der Natur aufgefaßt werden kann, als einer, der tatsächlich als Kind der Großen Mutter gelten kann:

»At vero hoc quo, generaliter ad omnes singulares functiones anima fertur, quale sit et quomodo: non satis est apertum, quaeritur.n.quid est quo artem induit anima? qua arte anima artem induit? nunquid non artem convenit appellare quo technica mater natura ex frequentatis actibus, expertem se reddere nititur?«

»Aber das, wodurch im Allgemeinen die Seele zu allen ihren einzelnen Funktionen gebracht wird, wie beschaffen ist dies und auf welche Weise geschieht dies? Das ist noch nicht hinreichend klar. Es wird also gefragt, was dies sei, wodurch die Seele sich in die Kunst hüllt? Durch welche Kunst hüllt sich die Seele in die Kunst? Nun, paßt es nicht gut, de Kunst als dasjenige zu bezeichnen, wodurch die technische Mutter Natur in vielen wiederholten Akten danach strebt, sich selbst zur Expertin zu machen?«

Alle Operationen beziehen sich in spezifischer Weise auf die Natur:

»Cum igitur omne possibile natura praestet, sive ante naturalia, sive in naturalibus, sive per naturalia: ita intelligas à naturalibus omnibus actionem proficisci: ut naturam per eadem agere non ignores. Distinguat quantumlibet, agens positivum à naturali vulgaris philosophia; non n.inficiam. Illud mihi iure admitti volo: ut ita distinguatur, sicut organum operantis ab ipso distinguitur operante; sicut medium ab ordinante, brachium ab exagitante.«

(Da also alles Mögliche...

Die Natur teilt sich mit dem Menschen denselben Modus, der Mensch aber findet in diesem Modus gewissermaßen das Organ seines eigenen Werdens, indem er lernt, aus dem Umriß der Schatten Schlüsse zu ziehen auf dasjenige, das diese Schatten wirft. Damit wird er zum großen Operator, Manipulator und Magier. Das Projekt der ars memoriae ist die Herstellung neuer Emanationsbänder, wie sie Bruno in den Code-Listen in »De umbris idearum« angeht.

Spinoza gibt ein Echo der ars memoriae Brunos im fünften Teil der Ethik - die in jedem Fall größere Ähnlichkeit mit Brunos »imaginationsmagischer« Analyse der »vincula« aufweist als beispielsweise mit der Nikomachischen Ethik - und zwar dort, wo er von der Potentia Intellectus seu de Libertate humana (von der Macht der Vernunft oder der menschlichen Freiheit) handelt, präzise in der ersten propositio, wo es heißt:

» Gerade so, wie die Gedanken und Vorstellungen der Dinge im Geiste geordnet und verkettet werden, genau so werden die Affectionen des Körpers oder die Bilder der Dinge im Körper geordnet und verkettet.«

Spinoza erläutert:

»Wie demnach die Ordnung und Verkettung der Vorstellungen im Geiste nach der Ordnung und Verkettung der Affectionen des Körpers entsteht..., so entsteht umgekehrt die Ordnung und Verkettung der Affectionen des Körpers, je nachdem die Gedanken und die Vorstellungen von den Dingen im Geiste geordnet und verkettet werden.«

Der Gedächtniskünstler, der dem Entwurf Brunos folgt, wird zwar die concatenatio (Verkettung) sich just in Spinozas Manier zum Thema machen, aber weniger, wie mir scheint, um diese oder jene Affekte oder Affektketten produzieren zu können, sondern auch und vor allem aus Interesse am Wesen von Imagination und Phantasie und ihrer erinnerungstechnischen Potenzen. Brunos Pantheismus wird in der Erhöhung der memoria und der künstlerischen bzw. konstruktivistischen Bearbeitung ihrer generativen Kräfte selbst transformiert. Der Pantheismus, einmal vom Gedächtniskünstler, vom Erfinder der Schatten und des Schlüssels usurpiert, wird im Nu des Schreckgespensterhaften und ontologisch Monströsen entledigt und avanciert zur wahren neuen, eher kulturphilosophisch oder kulturwissenschaftlich relevanten Beschäftigung. Ich möchte daher vorschlagen, Brunos sogenannten Pantheismus treffender eher als PanMnemismus zu bezeichnen. Eine Revision des Pantheismus Brunos als PanMnemismus eliminiert die Opposition zwischen Bewußtseinsphilosophie und Kosmologie und zeigt die berühmten »unendlichen Welten« als eine notwendige, aus dem Konzept des komplizierten Gedächtnisses herrührende Idee.

Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß Spinoza höchstwahrscheinlich sehr wohl Brunos Modell und die philosophische Tradition, in die er sich gestellt hat, gekannt hat. Zum großen Teil unbekannt waren diese jedoch den zahlreichen Philosophiehistorikern, die am Ende des 18.bis zum 19.Jahrhundert eine Diagnose zum Verhältnis zwischen Spinoza und Bruno angestellt haben, also beispielsweise La Croze, J.G.Buhle, Johann Jakob Brucker, Agatapisto Cromaziano, Tennemann, Jacobi, Fülleborn, Rixner und Siber, Kirchmann und Moriz Carrière. Versuche, die Kunst der Erinnerung in Brunos Philosophie, insbesondere in seine Metaphysik und Kosmologie einzupassen, sind allerneuesten Datums und haben das Bruno-Bild bis heute nur geringfügig umzugestalten vermocht. Der Spinozismus selbst hätte, falls der Zusammenhang mit Brunos eleganter mnemonische Transpositionsmetaphysik schon im 17.Jahrhundert aus den disparaten Schriften zu rekonstruieren gewesen wäre, eine unvergleichlich argumentationskräftigere philosophische Bewegung sein können, jedenfalls hat man in Bruno einen Anti-Descartes, der seine Wirkung sogleich machtvoll entfaltet hat, sich aber gleichwohl der Kanonisierung im philosophieschulischen Lehrbetrieb gesträubt hat. Ferner ist zu bemerken, daß erst die gegenwärtige Beschäftigung mit der physiologisch orientierten Renaissance-Affektenlehre die richtige Einordnung zumindest eines Teils von Brunos Absichten, wie sie beispielsweise in den Eroici furori, in De vinculis in genere und in De magia entfaltet werden, erleichtert und einen damit der Auseinandersetzung etwa mit dem Schwulst Kuhlenbeckscher Ausprägung enthebt. Kuhlenbeck hat bis heute, bis auf wenige Ausnahmen, das Monopol auf die deutschen Bruno-Übersetzungen inne gehabt, was erklärt, weshalb der deutsche Bruno meist so unvergleichlich schwärmerisch, neurasthenisch und auch kitschig wirkt. Aber man kann hoffentlich auch an die Unendlichkeit geraten, ohne sich das Hirn zu verbrennen.

© Copyright: Elisabeth von Samsonow, 1996.